Die Rolle der Kommunikation für Coaches

Inhalt

Anfänge, Ursprünge, Quellen der Wissenschaftsdisziplin
Entwicklung und bedeutende Richtungen der Wissenschaftsdisziplin und deren Vertreter
Typische Fragestellungen in der Wissenschaftsdisziplin
Typische Axiome bzw. Theoreme in dieser Wissenschaftsdisziplin
Typische Deutungsmuster in der Wissenschaftsdisziplin(Analyse- und Lösungsstrategien)
Typische Anwendungsfelder dieser Wissenschaftsdisziplin
Typische Begriffe und deren Deutung in der Wissenschaftsdisziplin
Typische Kritik an der Wissenschaftsdisziplin
Bedeutung der Wissenschaftsdisziplin für das Coaching

Anfänge, Ursprünge, Quellen der Wissenschaftsdisziplin

Das Nachdenken über Kommunikation ist vielleicht so alt wie das Nachdenken über den Menschen an sich. Die Frage, wie erschließe ich mir und anderen die Welt, beschäftigt Philosophen seit der Antike. Aber auch in nicht-westlichen Kulturkreisen sind diese Themen von Anbeginn an zentral für religiöse und weltliche Erkenntnis. Das Höhlengleichnis (die Welt teilt sich uns nur als Schatten ihrer selbst mit) und die Rhetorik (kann ich die Worte so formen, dass sie beim Zuhörer die von mir gewünschte Wirkung erzielen, oder gibt es darüber hinaus universale logische oder ethische Kriterien?) sind zeitlose Anker, um sich dem Kommunikationsbegriff kritisch zu nähern. Viele Denker der Geschichte von AUGUSTINUS über LEIBNIZ und LOCKE bis zu HEGEL und NIETZSCHE haben sich mit Kommunikation beschäftigt, auch wenn sie dabei andere Begriffe wie Argumentieren, Sprechen, Erkennen, Verstehen oder Vorstellen benutzt haben. Aber es wäre vermessen, all diese Denker mit dem Label Kommunikationswissenschaftler versehen zu wollen. Es ist ja eine Tücke des heute allgegenwärtigen Begriffs Kommunikation, dass er viel, alles oder gar nichts bedeuten kann. Weist „Kommunikation” doch alle Eigenschaften der Wortklasse auf, die UWE PÖRKENSEN so treffend Plastikwörter genannt hat.

Der Anfang einer Kommunikationswissenschaft im heutigen Sinne datiert auf den Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert. Verschiedene wissenschaftliche Strömungen begannen damals, das, was wir heute Kommunikation nennen, als Erkenntnisgegenstand herauszuarbeiten. Sie versetzten uns so erst in die Lage, uns damit auseinanderzusetzen, wie Kommunikation funktioniert und was sie bewirkt. Da sind die deutschen Sprachkritiker wie PHILIP WEGENER (1848-1916) oder FRITZ MAUTHNER (1849-1923) zu nennen, ebenso wie der Stammvater des strukturalistischen Denkens und Begründer der modernen Sprachwissenschaft FERDINAND DE SAUSSURE (1857-1913). LUDWIG WITTGENSTEIN (1889-1951) steht für den communicational turn in der Philosophie, ist aber auch nur Ausdruck einer Zeit, die begonnen hat, die Grenzen des Sprachspiels auszuloten und die Wirkungen von Kommunikation von der Naturwissenschaft über die Gesellschaft bis zum (unbewussten) Befinden eines jeden Einzelnen zu ergründen.

Einen letzten großen Schub hat die Kommunikationswissenschaft mit einem einfach ingenieurs-wissenschaftlichen Werk, der „Mathematical Theory of Communication“ von CLAUDE SHANNON und WARREN WEAVER, bekommen. In den Zeitgeist der wachsenden Technisierung und Computerisierung der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts platzierten sie die Metapher von Kommunikation als Sender- Empfänger-Regelkreis, die Kommunikation ebenso in die schulischen und universitären Lehrpläne getrieben hat wie in das Vokabular von Politikern und Managern. Interessanterweise haben sich sogar die gesellschaftskritischen und sozialen Bewegungen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre dieses zumindest menschenfreien, wenn nicht sogar menschenverachtenden Kommunikationsmodells bedient. So dass Kommunikation heute ein generischer Begriff für allzu viele menschliche, mediale, symbolische und technische Phänomene ist. Der Begriff Kommunikation wird dabei oft auf einen einseitigen SignalÜbertragungsakt reduziert, was keinesfalls dem Wesen von Kommunikation entspricht. Kommunikation ist vielmehr der Versuch von mindestens zwei Individuen, Bewusstseinsinhalte und Handlungen mit Hilfe von Sprache und Zeichen zu harmonisieren. Dieser soziale Aspekt von Kommunikation steckt auch schon im lateinischen Wortstamm „communico”, der vereinigen und gemeinsam machen und dann auch teilen, teilnehmen lassen, mitteilen bedeutet und sich wiederum von „con moenia” herleitet, was mit „zusammen in einer Mauer” übersetzt werden kann und die Ursprungsform vom sozialen Gemeinschaften beschreibt. Die heute allgemein als konstituierende Eigenschaft von Kommunikation angesehene Eigenschaft des Einsatzes von Zeichen ist zwar bei SHANNON/WEAVER wesentlicher Bestandteil des Begriffs, war aber scheinbar bei den Römern noch kein relevanter Aspekt. Gerade das Handeln mit Zeichen, die wiederum selber soziale Artefakte sind, grenzt Kommunikation eindeutig von der bloßen Interaktion ab. Kommunikation ist der Schlüsselprozess zur Vermittlung zwischen individueller Psyche und sozialer Gemeinschaft, ihren Strukturen und Wirkweisen.

Entwicklung und bedeutende Richtungen der Wissenschaftsdisziplin und deren Vertreter

Entsprechend der großen Popularität des Kommunikationsbegriffs haben sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen oder -fächer der Kommunikation angenommen bzw. bedient. So ergeben sich heute fünf Richtungen der Kommunikationswissenschaft. Wobei die Grenzen in den letzten Jahren nicht mehr ganz so klar und scharf zu ziehen sind und eine langsame Konvergenz zu erkennen ist.

  • Die publizistische Kommunikationswissenschaft, die in der Tradition der Zeitungswissenschaft (Publizistik) steht. Sie hat ihre Ursprünge in der Betrachtung von Funktionsweisen und Eigenschaften der klassischen Medien Zeitung und Buch. Mit der Popularität des Kommunikationsbegriffs und der Explosion der verfügbaren Medien haben sich diese Institute und ihre Vertreter zu Medien- und Kommunikationswissenschaftlern gewandelt. Dass dieser Schritt gerade von den Zeitungswissenschaftler auf breiter Front vollzogen wurde, ist vor dem Hintergrund der heutigen Medienvielfalt gar nicht so selbstverständlich und konsequent, wie es meist dargestellt wird, hätten doch andere Medienwissenschaften, wie Theater-, Bild- oder Literaturwissenschaften bereitgestanden. So wird unter Kommunikation meist immer noch ein nachrichtenorientiertes Medien-Produkt bzw. Produktionssystem verstanden und nicht die Auseinandersetzung mit Welt, Gesellschaft und Mit-Mensch, wie sie der oben aufgezeigten Traditionslinie entsprechen würde. Die Vernetzung mit anderen Denkpositionen hält Einzug durch die stärkere Medialisierung unseres Lebens, die (Einzel-)Mensch und Medium näher zusammenbringt, und durch das Denken in Bedeutungs- und Symbol-Mustern, wie sie eine strukturalistische Textwissenschaft oder eine Semiotik propagiert. Als typischer Vertreter kann z.B. das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München gelten.
  • Die managementorientierte Kommunikationswissenschaft, die sich nach amerikanischem Vorbild der Public Relation, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der Unternehmenskommunikation verschrieben hat. Hier werden Teile der publizistischen Kommunikationswissenschaft mit Elementen der Markt- und Meinungsforschung kombiniert und recht pragmatisch auf die Interessen und Anforderungen von Unternehmen, Agenturen, Politik und Medien angewendet. Dabei entstehen empirische und theoretische Werkzeuge, die hohe Reputation und Relevanz bei den Praktikern besitzen. Sie unterliegt jedoch der Gefahr aller Management-Lehren, dass sich Theorien und Methoden vom Erkenntnisgegenstand lösen und sich unabhängig vom Erkenntniswert und -gehalt verselbstständigen. So orientieren sich immer noch viele Kommunikationsmanager an der sog. AIDA-Formel (Attraction — Interest — Desire — Action), ohne dass sie eine allgemeine Beschreibung von Wahrnehmungsprozessen liefert, die einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde. Aber als Faustformel besticht sie durch Einfachheit und Praktikabilität. Die PR-Wissenschaft hat eine historische Nähe zur Publizistik. Die Öffnung zu anthropologischen, linguistischen oder philosophischen Herangehensweisen an den Gegenstand passiert immer dort, wo die Komplexität und neue Phänomene zu Grundlagenarbeit zwingen. Hier ist zum einen die interkulturelle Kommunikation als Anlass zu nennen und wie bei der Publizistik die neuen Medien des Web 2.0, die zu subjektivistischen und individualistischen Theorien zwingen. Beispielhaft für diese Richtung ist sicher das Institut für Kommunikationsmanagement und Public Relations der Universität Leipzig zu nennen.
  • Die soziologische Kommunikationswissenschaft, die sich der Kommunikation als elementarem, konstituierendem, soziologischem Phänomen widmet. Kommunikation wird hier als Funktion innerhalb eines größeren, sozialen Zwecks untersucht und beschrieben. Dabei finden verschiedene soziologische Großtheorien wie die Systemtheorie oder der (radikale) Konstruktivismus Anwendung. Aus diesem Blickwinkel gelingt es, sehr weitgehende Beschreibungen von Kommunikationssystemen bzw. -gemeinschaften zu geben, seien es nun Medien, Milieus, Fachgemeinschaften oder Mikrogemeinschaften wie Paare, Familien oder Arbeitsteams. Diese Betrachtungsweise, die sowohl Dynamik als auch wechselseitige Einflussnahme zugrunde legt, erlaubt dabei wesentlich besser als die Objekt- oder Aktionsbetrachtung der beiden ersten Ansätze Untersuchungen zur Interaktion zwischen Mensch und Medien. Allerdings entwickelt diese Kommunikationswissenschaft durch ihre Einbettung in eine soziologische Gesamttheorie kaum originär kommunikationswissenschaftliche Theorien und Modelle. Vielmehr liefert sie empirische und theoretische Ausarbeitungen ihrer Theorien am Gegenstand Kommunikation. Diese Kommunikationssoziologie ergänzt die PR-Wissenschaft, da sie dieser eine stärkere wissenschaftliche Reflektionsebene bieten kann und von dieser wiederum zu praktischen kommunikationsspezifischen Ergebnissen gezwungen wird. Kommunikation ist durch die technologische Revolution und die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen wahrscheinlich das sich mit am schnellsten ändernde Gesellschaftssystem (im allgemeinen, nicht strengen LUHMANNSCHEN Sinne), sodass die Kommunikationssoziologie möglicherweise zur treibenden Kraft in der Soziologie werden und so zu eigenen Modellen gelangen kann. Dabei muss sie sich aber noch stärker sprachwissenschaftlichen, philosophischen und kulturwissenschaftlichen Methoden öffnen. Der technische und der naturwissenschaftliche Impetus ist über Systemtheorie und Konstruktivismus traditionsgemäß schon stark, dieser Einfluss wird über die wachsenden Fragestellungen zur Mensch-Maschine-(Mensch-)Kommunikation noch wachsen. Prototypisch für diesen Ansatz gilt z.B. das Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
  • Die anthropologische Kommunikationswissenschaft, die sich dem Einzel-Phänomen Kommunikationsprozess, wie er im einfachsten Fall im direkten, persönlichen Dialog zweier Menschen stattfindet, verschrieben hat. Die Sozialitäten der Kommunikationssoziologie sieht sie eher als Umwelt oder Kontext denn als direkten Gegenstand. Diese Kommunikationswissenschaft nimmt folgerichtig starke Anleihen in der Linguistik, Psychologie und anderen „Mensch-Wissenschaften” wie Human-Biologie, Anthropologie und Ethnologie. Sie spiegelt deren Erkenntnisse aber auch an grundlegenden Fragen der Erkenntnistheorie, des Strukturalismus, des Konstruktivismus oder der Semiotik. Sie kommt somit — vielleicht als einzige der fünf Richtungen — zu einem eigenen und originären wissenschaftlichen Verständnis eines klar umrissenen Gegenstands Kommunikation. Natürlich leidet dieser Gegenstand unter der Einmaligkeit seiner Phänomene, und die große Herausforderung der anthropologischen Kommunikationswissenschaft ist die Reproduzierbarkeit und Generalisierbarkeit ihrer Erkenntnisse gerade im Hinblick auf Fragen, die Unternehmen, Gesellschaft oder Politik an sie herantragen, zur Bewältigung aktueller Herausforderungen wie Technikfolgenabschätzung, globale Völkerverständigung, Gestaltung zukünftiger Wissens- und Bildungssysteme. Allerdings bringt gerade die Technisierung und Globalisierung Phänomene zu Tage, die nur mit Individualisierung und Subjektivierung beschrieben werden können und bei denen die drei zuerst genannten Ansätze an ihre Grenzen stoßen. So verhalten sich virtuelle Nomaden im Netz tatsächlich wieder wie Nomaden an ihrem Lagerfeuer, sodass hier eine Kommunikationswissenschaft, die ihren Ursprung in der Untersuchung des Entstehens und des Austauschs von individuellen Weltbildern sowie der gegenseitigen Steuerung von Verhalten und Verstehen hat, immer relevanter wird. Mit der Integration dieses Ansatzes in die Fragestellungen der drei anderen Sichtweisen könnte der Kommunikationswissenschaft noch ein gewaltiger Sprung in der Relevanz für unsere Gesellschaft gelingen. Beispielhaft für diese Art von Kommunikationswissenschaft sei das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der Universität Duisburg-Essen genannt.
  • Darüber hinaus gibt es natürlich noch wichtige kommunikationswissenschaftliche Forschung in den Bereichen der Ingenieurs- und Naturwissenschaften. So ist ja der Begriff Kommunikation in der Tradition SHANNON/WEAVERS nachrichten- und übertragungstechnisch belegt. Die viel beschworenen Informations- und Kommunikationstechniken werden in computerwissenschaftlichen, elektrotechnischen und physikalischen Fakultäten vorangetrieben. Hier geht es nicht nur um Netz-, Rechner- und Speicher-Kapazitäten, sondern auch um die so genannte Mensch-Maschine- Schnittstelle, das heißt, um Fragen der Usability, Kompatibilität und Simulation von menschlichem Kommunikationsverhalten. Ihr Pendant findet diese technische Kommunikationswissenschaft — die aber hierzulande nicht unbedingt auch so benannt wird — in einer biologisch-neurologischen Kommunikationswissenschaft. Hier wird die „Wet-Ware” des menschlichen Gehirns im wahrsten Sinne des Wortes durchleuchtet, um den Funktionsweisen des Verstehens und Verständigens auf die Spur zu kommen. Große Aufmerksamkeit erlangte dieser Aspekt der Kommunikationswissenschaft durch die inzwischen wieder erlahmte Diskussion über den Freien Willen. Diese beiden Disziplinen sind hier nicht nur der Vollständigkeit halber erwähnt, sondern weil sie hohe Anteile der Forschungsgelder im Bereich Kommunikation auf sich vereinen können. Aber ohne einen fruchtbaren Dialog mit einer soziologischen und anthropologischen Kommunikationswissenschaft werden hier viel Blindleistung produziert und Forschungsgelder verbrannt. Mangelnde Einsparungseffekte, misslingende Transferleistungen in die Praxis (Stichwort Neuro-Marketing) gerade der neurologischen Kommunikationswissenschaft, Akzeptanzprobleme bei der Einführung neuer Kommunikationstechnologien, unverstandene soziale Auswirkungen von mobiler Kommunikation und virtuellen Welten, aber auch das Platzen der primär auf I+K-Technologien beruhenden Neue-Markt-Aktienblase sind deutliche Anzeichen für die Notwendigkeit dieser Integration. Beispielhaft für diese beiden Herangehensweisen seien die Informatik der Universität Saarbrücken und das Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main herausgegriffen.

Typische Fragestellungen in der Wissenschaftsdisziplin

Wenn der Interessenskern der Kommunikationswissenschaft — gerade im Hinblick auf das Coaching — in der Beschreibung des Entstehens von individuellen Welt-Verstehenssystemen und der Gestaltung dieser Systeme im Austausch mit sozialen Gruppen und deren (anderen) Individuen liegt, ergeben sich folgende typische Fragestellungen:

  • Wie entstehen im einzelnen Kommunikationsakt, z.B. dem Gespräch, und im Lebenslauf eines Individuums Wissen, Einstellungen und Verhaltensmuster?
  • Wie lassen sich Wissen, Einstellungen und Verhaltensmuster durch Kommunikationsakte und Kommunikationssysteme technischer und sozialer Art beeinflussen?
  • Welche Einflüsse haben bestimmte soziale Formen und Technologien (auch Medien genannt) auf den Verlauf und die Ergebnisse von Kommunikation?
  • In welchem Wechselverhältnis stehen subjektives Kommunikationsverhalten und Kommunikationsinhalte mit intersubjektiven, sozialen Prozessen, Strukturen und Inhalten?

Letztlich folgt daraus:

  • Welche Aussagen können aus Sicht eines jeden Einzelnen und aus Sicht einer sozialen Gemeinschaft über die Verlässlichkeit, Steuerbarkeit und Stabilität von Kommunikation gemacht werden?
  • Und kann Kommunikation im Sinne subjektiver Werte und Bedürfnisse sowie sozialer Werte und Bedürfnisse entwickelt und gestaltet werden?

Dabei können physiologische, ethische, funktionale, ästhetische, ökonomische und viele andere Maßstäbe herangezogen werden.

Typische Axiome bzw. Theoreme in dieser Wissenschaftsdisziplin

Die folgenden Theoreme stellen die Essenz von Kommunikation dar:

Du kannst nicht nicht-kommunizieren
Das populärste aller Kommunikationsaxiome. In letzter Konsequenz allerdings falsch, da Kommunikation einen wechselseitigen und absichtsvollen Prozess darstellt. Richtig ist vielmehr, dass man sich nicht dagegen wehren kann, von anderen (auch falsch) interpretiert zu werden, selbst wenn man nichts ausdrücken wollte. Trotzdem zeigt das Axiom, wie wichtig die permanente, Verständnis sichernde Auseinandersetzung mit relevanten Mitmenschen ist.

Kommunikation ist ein Prozess
Man muss die zeitliche Dauer im Auge behalten. Die Reduzierung auf einzelne Akte oder gar
einzelne Medien, wie z.B. den Wortlaut des gesagten Satzes, blendet wesentliche Aspekte wie die nachfolgende Interpretation oder begleitende Aktivitäten wie Gestik und Mimik aus.

Kommunikation ist intentional
Alles was nicht-intentional ist, ist etwas anderes. In der Beschäftigung mit Kommunikation liegt somit kein Allheilmittel für alle Formen möglicherweise störungsanfälligen Sozialverhaltens. Es liegt aber auch ein Vorteil darin, nicht jedes Verhalten als Kommunikation auf sich selbst beziehen zu müssen.

An Kommunikation sind (mindestens) zwei Individuen beteiligt
Allerdings wird über den Punkt, ob die Individuen Menschen sein müssen oder auch Tiere und Maschinen sein können, viel gestritten. Und die Beteiligung kann durchaus indirekt (über Entfernungen und Zeiten) sein. Jeder kommunikativen Äußerung, auch indirekten, wohnt aber eine Vorstellung über den Anderen, sein aktuelles und sein zukünftiges Denken und Verhalten inne.

Kommunikation kann scheitern — bemerkt und unbemerkt
Es ist zentral, dies zu wissen und entsprechende Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen in sein
kommunikatives Tun einzubauen.

Kommunikation ist Arbeit
Wesentliche Teile der Arbeit werden nicht für die inhaltlichen Elemente, sondern für die Aufrechterhaltung und die Gestaltung der Rahmenbedingungen (z.B. physische Wahrnehmbarkeit, subjektive Sympathie, soziale Hierarchie) aufgewendet — und müssen dies auch. Kommunikation verbraucht daher Energie und ist im beruflichen und privaten Umfeld ein knappes und nicht beliebig reproduzierbares oder gar multiplizierbares Gut.

Die Subjektivität jedes Einzelnen ist unhintergehbar
Wir müssen damit leben, dass wir unseren Mitmenschen nicht in die Köpfe schauen können. Selbst das unentwegte Wiederholen von Aussagen oder das lange Schleifen an Formulierungen ändern nichts an der Freiheit des Einzelnen und an der Unsicherheit über die Interpretation des anderen. Wir können uns dabei auch selber nicht unserer eigenen Subjektivität erwehren — Objektivität ist keine Willenssache.

Kommunikation objektiviert sich (nur) außerhalb der Kommunikatoren
Objektiv sind nur Äußerungen, Medien und Handlungen. Diese entfalten auch intersubjektive Wirkung und schränken die subjektiven Freiheitsgrade der Interpretation und des Handeln ein, ohne aber die Subjektivität ausschalten zu können. Ein gesagter Satz verändert die Situation zwischen zwei Personen, ohne dass sich genau festlegen lässt wie. Aber durch eine Kette von Äußerungen, Medien und Handlungen — durch Diskurs — erreichen Individuen und Gemeinschaften eine gewisse, lebensnotwendige Stabilität in ihren Interpretationen.

Kommunikation ist ein gemeinschaftlicher Gestaltungsprozess
Gestaltet werden zwei subjektive Welttheorien und ein intersubjektives Medium. Erst Gestaltung formt aus den beiden, Kommunikation zwangsläufig begleitenden, Prozessen Interaktion und Wahrnehmung den Sinn, der Kommunikation lebensnotwendig macht. Im Medium und in Handlungen manifestiert sich dabei intersubjektiv Gemeinschaft, die auf diese und zukünftige Kommunikation zurückwirken kann.

Alles ist Zeichen
Nicht alles ist nur Zeichen. Alles Belebte und Unbelebte kann durch Interpretation eine Bedeutung erlangen. Nur als Zeichen können wir uns diese Bedeutungen aneignen. Die Bedeutung eines Zeichens bestimmt sich — wie WITTGENSTEIN so treffend gesagt hat — nur im Gebrauch. Es gibt aber Qualitäten, die über eine zeichenhafte Bedeutung hinausgehen, selbst wenn sie uns wiederum nur als Zeichen vermittelt werden. Z.B. das Gewicht eines Steins, gegen den ich mit meinem Fuß stoße.

Medien sind nicht neutral …
in Bezug auf Kommunikationsverlauf, -inhalt und -ergebnis. Das heißt, wie und worin Kommunikationsabsichten und -inhalte geäußert werden, ist wichtig für Kommunikationserfolg oder -misserfolg. Derselbe Wortlaut im persönlichen Gespräch, in einer Mitarbeiterversammlung, im Intranet oder in der Bildzeitung können grundlegend andere Wirkungen, das heißt Interpretationen, hervorrufen.

Typische Deutungsmuster in der Wissenschaftsdisziplin(Analyse- und Lösungsstrategien)

Zentral sind in der Kommunikationswissenschaft der Gestaltungsaspekt und die Möglichkeit des Scheiterns von Kommunikation. Kommunikationswissenschaft ist bemüht, die relevanten Faktoren innerhalb eines Kommunikationsprozesses zu identifizieren. In der Gestaltung der Faktoren wird Potenzial vermutet, um das Scheitern von Kommunikation in ähnlichen/gleichartigen Kommunikationsprozessen, z.B. von derselben Kommunikationsgattung oder unter denselben Kommunikationsbedingungen unwahrscheinlicher zu machen.

Des Weiteren geht es der Kommunikationswissenschaft um die Vermittlung persönlicher Kommunikationskompetenz. Kommunikation bedarf (individueller) Kommunikationstheorien, die den Prozess selbst und die Interpretation seiner Ergebnisse steuern. In der Vermittlung von Wissen über den Kommunikationsprozess und im Training von Kommunikationssituationen kann eine Verbesserung der Kommunikationserfolgschancen erreicht werden. Diese Verbesserung ist allerdings nicht objektiv und wertneutral, sondern wiederum, wie der Kommunikationsprozess, intentional.

Drittes zentrales Deutungsmuster ist die Manifestation von Kommunikationsprozessen in Medien. Medien stellen zum einen eine Objektivierung von Kommunikation (Form und Inhalt) dar, zum anderen sind sie physikalisch-technische und soziale Verdinglichungen des Gestaltungs- und des Kompetenzaspektes mit positiven und negativen möglichen Folgen für die soziale und individuelle Kommunikationsfähigkeit.

Dabei steht ein breites Methodenspektrum der quantitativen und qualitativen Sozialwissenschaften zur Verfügung, ergänzt um interpretative und erzählende Techniken der Geisteswissenschaften und idealistische Denkweisen aus Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sowie allgemeiner Philosophie. Abgerundet werden diese Methoden durch naturwissenschaftliche aus dem Bereich der Neurologie und Biologie.

Typische Anwendungsfelder dieser Wissenschaftsdisziplin

Klassisch ist die breite empirische Untersuchung von Kommunikationsgattungen, z.B. dem Kneipen- Gespräch, dem Small-Talk am Gartenzaun, dem Arzt-Patienten-Dialog, der Auseinandersetzung zwischen Chef und Mitarbeiter, aber auch der TV-Casting-Show. Dabei geht es um die Identifikation dieser Gattungen sowie um die Entdeckung spezifischer Muster je Gattung — wiederum zu deren Optimierung. Kommunikationswissenschaft untersucht auch die Entstehung komplexer Symbol-Systeme durch andauernde Kommunikation. Dabei kann es sich um das Entstehen von Wissen bei Individuen oder Gruppen handeln, aber auch um Bedeutungen, die politischen Begriffen oder kommerziellen Marken zugewiesen werden. Kommunikationswissenschaft analysiert den Einfluss, den Medien auf Kommunikationsprozesse haben können, dadurch, dass sie z.B. bestimmte Sinne mehr stimulieren als andere oder bestimmte technische oder inhaltliche Transformationen notwendig machen.

Kommunikationswissenschaft arbeitet an den elementaren Bedingungen und Wesenheiten von Kommunikation, wie z.B. der Prozesshaftigkeit, der Intentionalität, der Verknüpfung von Inhalt und Form, vor dem Hintergrund, dass viele Kommunikationsvorgänge gerade im professionellen Zusammenhang diese Aspekte ignorieren und so unbemerkt defizitäre Kommunikationsprozesse gestalten oder gar Situationen schaffen, in denen Kommunikation gar nicht stattfindet. So macht es durchaus Sinn, Kommunikation von Zeichenprozess, Ritual, Interaktion und reinem Verhalten zu unterscheiden, gerade wenn oberflächlich kommunikative Elemente wie Medien, Sprache, Zeichen, sozialer und physischer Kontakt vorhanden sind. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn Kommunikationsprozesse in technischen Systemen wie Computern simuliert oder modelliert werden sollen, sei es bei Anrufbeantwortern, Sprachsteuerung, semantischen Suchen oder beim Data-Mining.

Typische Begriffe und deren Deutung in der Wissenschaftsdisziplin

Kommunikation
der Prozess mindestens zweier Individuen mit dem Ziel, ihre Handlungen und/oder ihre Bewusstseinsinhalte zu koordinieren. Diese Koordination geschieht immer unter Zuhilfenahme von Zeichen. Das interpretative Bedeutung bzw. Sinn schaffende Wesen von Kommunikation unterscheidet diese von Interaktion — dem Handeln zwei Individuen miteinander — oder einfachen instrumentellen Akten — z.B. dem Bearbeiten von Materie.

Zeichen
entstehen aus materiellen Objekten (flüchtigen oder nicht flüchtigen), die durch Interpretation eine Bedeutung erlangen. Diese Bedeutung entsteht entweder aufgrund sozial bzw. historisch codifizierter und gelernter Bedeutungen oder durch subjektive Schlussfolgerungen. Zeichen können als einzelne Entitäten oder als sehr komplexe Zeichensysteme, z.B. Sprachen, in Erscheinung treten.

Sprache
ein mehrgliedriges Zeichensystem. Das Grundprinzip natürlicher Sprachen, aus der Kombination kleiner Einheiten, z.B. Laute, größere Bedeutungseinheiten, z.B. Worte, bilden zu können, findet sich auch in anderen kulturell gewachsenen (z.B. Bildsprache der Malerei) oder technisch konstruierten (z.B. Programmier-Sprachen) Sprachen wieder.

Medium
ursprünglich lediglich physische Träger oder Speicher für Zeichen, z.B. die gesprochenen Äußerungen oder die Pergamentrolle. Inzwischen zu so komplexen Strukturen technischer und sozialer Arten, Medien wie Fernsehen oder Internet, herangewachsen, dass als Forschungsgegenstand zum Teil die Kommunikation überlagern. Gerade beim Begriff multimedial wird oft fälschlicherweise impliziert, dass elektronische Rechnerleistung immer am Medium beteiligt sein muss. Gemeinsam ist allen Medien, dass sie Einfluss auf den Einsatz von Zeichen und die Interaktion der Individuen in der Kommunikation haben und so den Verlauf des Kommunikationsprozesses beeinflussen.

Code
angenommene Regel, um Kommunikationsinhalten bzw. Zeichen eine Bedeutung zuzuweisen. Wobei die übliche Unterstellung, dass für jede Kommunikationssituation und -gattung den Kommunikationsteilnehmern ein Code in identischer und reproduzierbarer Form zur Verfügung steht, ein Irrtum ist. Meist ist ein sogenannter Code eine (wissenschaftliche) Verallgemeinerung zur nachträglichen Deutung von Zeichenverständnis und Kommunikationsverlauf. Nur bei einer Minderheit von Kommunikationsformen besteht ein expliziter Code, technischer (z.B. Morse) oder sozialer (z.B. Verkehrsschilder) Art, auf den die Kommunikatoren bewusst zurückgreifen.

Verstehen
im Ideal das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. Beschreibt eine inhaltliche Komponente, das heißt, Übereinstimmung in Bewusstseinsinhalten und/oder Handlungen, im Gegensatz zur Verständigung, die nur die gelungene Abwicklung des Prozesses, das heißt z.B. wechselseitige optische oder akustische Wahrnehmung, umfasst. Allerdings ist Verstehen kein objektiver Zustand, vielmehr ist es ein subjektives Gefühl des Verstehens (und des Verstandenwerdens) der Kommunikatoren oder das Urteil eines Dritten, eines Beobachters. Dieses Urteil kann ebenfalls rein subjektiv sein („die Kinder verstehen sich aber gut“), oder intersubjektiv nachvollziehbar sein, z.B. anhand der wissenschaftlichen Kriterien einer ethnologischen Studie.

Interpretation
der Prozess, der Zeichen eine Bedeutung zuweist. Diese kann aufgrund expliziter Codes, persönlicher Erfahrungen und Gewohnheiten oder durch Schlussfolgerungen geschehen. Dabei ist das Ergebnis keinesfalls immer ein bewusster, intellektueller und gar sprachlicher Inhalt. Vielmehr können sich Interpretationen auch in Gefühlen, Bildern, Handlungen oder physiologischen Reaktionen, wie Angst, ihren Niederschlag finden.

Inhalt und Form
beschreiben in verschiedenen Traditionen von Rhetorik bis Strukturalismus zwei klar unterschiedene Seiten eines Zeichens oder von Kommunikation. Aber nicht erst seit der Aussage „Das Medium ist die Botschaft“ sollte klar sein, dass durch den interpretativen Charakter von Kommunikation etwas, was der eine für eine Formalie hält, für den anderen eine schwerwiegende inhaltliche Bedeutung haben kann. Von daher ist dieses Begriffspaar, das gerade in ästhetischen Ausführungen über Kommunikation noch sehr präsent ist, immer mit Vorsicht zu genießen.

Bedeutung
ist einer der schwierigsten Begriffe der Kommunikationswissenschaft überhaupt. Zahlreiche Autoren haben versucht, ihn zu präzisieren und gegen immer wieder andere Begriffe abzugrenzen. Am ehesten lassen sich drei Aspekte von Bedeutung beschreiben:

  1. Das aktuelle, flüchtige Ergebnis eines Zeichen- oder Kommunikationsprozesses. Z.B. ruft die Farbe Grün plötzlich die Erinnerung an den Lieblings-Fußballverein meiner Kindheit wach.
  2. Eine intersubjektiv codifizierte Bedeutung, wie sie sich in Wörterbüchern findet. Z.B. bedeutet das englische Wort „green“ auf Deutsch mit allen Einschränkungen „grün“. Oder die Farbe Grün kann für die Hoffnung oder für freie Fahrt stehen. Diese Bedeutungen sind jedoch niemals völlig stabil und universell anwendbar, sie bleiben abhängig von einem Umfeld.
  3. Bedeutung als höheres Motiv oder idealistischer Antrieb, z.B. in der Formulierung „Meine Karriere hat eine große Bedeutung für mich, aber Geld bedeutet mir nichts“. Im Deutschen ist dies eng verwandt mit dem Begriff Sinn. Grün kann in diesem Zusammenhang vielleicht das Streben nach Natur in uns ansprechen und von großer Bedeutung sein.

Wissen
ist in der allgemeinsten Form die Summe der individuellen Bewusstseinsinhalte. Wobei dieses Wissen, wie Interpretation, sprachliche, bildliche, emotionale oder motorische Ausprägungen haben kann. Teile des Wissens können in Kommunikation veräußerlicht werden und sind dann — mit den Einschränkungen jeder Kommunikation — für andere zugänglich. Für dieses sozialisierte Wissen gibt es wiederum soziale, technische Strukturen (Medien) wie Bibliotheken, Schulen oder Datenbanken.

Information
ist ein sehr populärer Begriff, der seinen Ursprung im nachrichten-technischen Kommunikationsmodell von SHANNON/WEAVER hat. Hier bezeichnet er den Wert eines zu übertragenden Signals. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Information eine Einheit an Neuigkeit für einen Nachrichtenempfänger. Nur ist der gesamte Informationsbegriff irreführend, da er nahelegt, dass durch Kommunikation Bedeutungs-Einheiten übergeben werden, was nicht der Fall ist. Zudem suggeriert er, dass die sogenannte Information objektiv eine Wissensbereicherung für einen Kommunikator darstellt. Dies ist jedoch in aller Regel weder für den Kommunikator noch für einen Außenstehenden so feststellbar. Letztlich bleibt von Information nichts übrig, als dass sie eine weitere mögliche Paraphrase verschiedener Begriffe wie Botschaft, Nachricht, Inhalt etc. ist, die versuchen, den Gegenstand einer Kommunikation zu fassen.

Kommunikationserfolg
ist nie ein absoluter Erfolg. Kommunikation ist stets mit einem Kommunikationsziel verbunden und anhand der Erreichung dieses Ziels bemisst sich der Kommunikationserfolg. Dabei können verschiedene Anspruchsniveaus verwendet werden. Manchmal reichen bloße Signale der Verständigung, manchmal reicht das Ausführen einer Handlung aus („Machst Du bitte die Tür zu!“). Manchmal stellt sich das Gefühl des Kommunikationserfolgs trotz aktiver Bestätigung des Gegenübers („Ja, ja, ich habe verstanden!“) nicht ein. Wesentliche Aspekte unserer Kommunikationskompetenz sind bewährte Mechanismen zur Sicherstellung des Kommunikationserfolges, wobei durch sich ändernde Kommunikationsbedingungen, -gegenstände oder Medien vertraute Mechanismen ihre Zuverlässigkeit verlieren können. In der Untersuchung dieser subjektiven und intersubjektiven Kontrollmechanismen und deren Veränderung liegt eine wichtige Aufgabe der Kommunikationswissenschaft.

Typische Kritik an der Wissenschaftsdisziplin

Die stärkste Kritik richtet sich gegen die vermeintliche Trivialität der Kommunikationswissenschaft, da sie Phänomene und Tätigkeiten problematisiert, die wir alle tagtäglich kompetent und ohne Schwierigkeiten auszuführen scheinen. Entsprechend werden dann auch Modelle zur Lösung erkannter Probleme oft als anwendungsfern und zu komplex bezeichnet, wenn sie nicht die Einfachheit alltagsweltlicher Kommunikationstheorien haben. Dies erklärt auch die Hartnäckigkeit der irreführenden Sender- Empfänger-Metapher.

Zweiter zentraler Kritikpunkt ist die Flüchtigkeit des Gegenstands Kommunikation, der so eigentlich nicht dokumentierbar und reproduzierbar ist. Damit sind Erkenntnisse zu einzelnen Kommunikationsvorfällen zu kleinteilig und für Anwender aus Unternehmen, Medienorganisationen, Bildung oder Politik erstmal irrelevant. Das mündet in der Forderung, das Hauptaugenmerk nicht auf den einzelnen Prozess, sondern auf stabile und übergeordnete Strukturen und Systeme zu lenken, bis hin zu der These, dass Kommunikation gar kein eigenständiger Erkenntnisgegenstand ist, da sich ihre Funktion und ihre Bedeutung nur aus den übergeordneten sozialen, technischen Handlungs- oder Sinnzusammenhängen ergeben.

Ein letzter wichtiger Kritikpunkt zielt auf die beschriebene Heterogenität der Kommunikationswissenschaften, wie sie hier beschrieben wurde, die dazu führt, dass es keinen übergreifenden Konsens zu zentralen Begriffen und Methoden gibt, der dann anderen Fächern und Disziplinen als Anschluss angeboten werden kann. Dies macht dann Kommunikationswissenschaft auch zum leichten Opfer benachbarter größerer Fächer wie Soziologie, Ökonomie, Germanistik oder der neuen Sammelbewegung der Kulturwissenschaften.

Bedeutung der Wissenschaftsdisziplin für das Coaching

Kommunikationswissenschaft ist zweifach für das Coaching relevant. Zum einen ist die Arbeit, die Coach und Coachee miteinander leisten, im Wesentlichen Kommunikationsarbeit. Das heißt, ohne genaue Kenntnisse gerade der anthropologischen Kommunikationswissenschaft kann kein kompetenter Einblick in das eigene Handeln und die eigenen Möglichkeiten als Coach erfolgen. Auch der Einsatz von Medien und Projektionsflächen wie zum Beispiel der freien kreativen Arbeit ist ein elementarer kommunikativer Zeichenprozess, dessen volles Potenzial sich erst in der kommunikationswissenschaftlichen Reflexion erschließt. Hier kann die Kommunikationswissenschaft sicher mit einem breiten Strauß an Ergebnissen z.B. zu Lehrer-Schüler-, Arzt-Patienten- oder Therapie-Gesprächen aufwarten.

Zum zweiten sind die allermeisten Herausforderungen, denen sich der Coachee ausgesetzt sieht, kommunikativer Natur. Ob Mobbing, eigene Ziel- und Wunschvorstellungen, Unternehmenskultur oder Stressoren, viele dieser Faktoren entstehen in Kommunikationssituationen oder sind in großen Teilen Ergebnisse einer individuellen Interpretation. Damit der Coach dem Coachee Reflexionsangebote machen kann, wie dieser Interpretationsmuster ändern oder Interventionsmöglichkeiten entwickeln kann, muss er/sie über die elementaren Prozesse der Kommunikation und ihre Nahtstellen zu sozialen Gruppen und unternehmerischen Rahmenbedingungen Bescheid wissen. Dieses Wissen kann die Kommunikationswissenschaft dem einzelnen Coach direkt bereitstellen. Oder dieses Wissen kann in die Coaching- Aus- und Fortbildung einfließen und das Coaching generell kritisch konstruktiv begleiten.

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