Gestern Big Sender, morgen im Dialog mit jedem?

Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Unternehmenskommunikation, die den Namen verdient.
(Das Wesen der Kommunikation II oder wo bleibt das Positive?)

Wer aktiv menschliches Bewusstsein erreichen will, muss sich am Gespräch orientieren. Tut er dies nicht, entsteht wirkungsloser Lärm, egal wie aufwändig oder planvoll die Lärm-Prozesse auch vonstatten gehen. Gibt es aber dann überhaupt Möglichkeiten, für Unternehmen zentral, systematisch, planbar und erfolgreich große Zielgruppen zu erreichen? Die Chancen stehen nicht schlecht, wenn man den Mut hat, mit Gewohntem zu brechen.

Selbst Jung von Matt haben erkannt: Werbung gleicht dem Gespräch

Auf meinen ersten Text habe ich enorme Resonanz erhalten. Die These lautete, nur im Gespräch könne sich der Mensch verständigen und wenn Unternehmen dies missachteten, seien all ihre Kommunikationsbemühungen (und Etats) vergebens.
Angesichts der Kommentare kann man von einem durch und durch geglückten Dialogversuch sprechen. Es gab viel Zustimmung (mehr als ich erwartet hatte) und wichtige und interessante Hinweise im Detail (vielen Dank). So z.B. der Hinweis, dass auch Jung von Matt in ihrem Buch Momentum sagen, dass Werbung nichts anderes ist als ein Gespräch. Aber auch deutliche Ablehnung wurde geäußert und selbst die Zustimmung kam oft als ‚ja, aber …’ daher. Ich möchte in diesem zweiten Text einige der Anmerkungen, Fragen und Kritikpunkte aufgreifen, vor allem aber Wege aufzeigen, wie echte Kommunikation unter den Rahmenbedingungen der Unternehmens- und Marketingkommunikation überhaupt stattfinden kann. Ein Teil der Einwände bezog sich auf spezielle Medien oder Techniken. Andere Leser haben den Verweis auf das Gespräch bewusst oder unbewusst allzu wörtlich genommen. Eine typische Frage lautete: „Aber was ist mit Bildern?“
Ein weitere Lesergruppe hat mich des Idealismus gescholten und die mangelnde Praktikabilität der Forderung nach Gespräch oder Dialog kritisiert. Sie wiesen darauf hin, dass es ja gerade eine Hauptaufgabe der Unternehmenskommunikation sei, vom Einzelgespräch wegzukommen und Kommunikationsverfahren zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und zu automatisieren.
Eine dritte Gruppe betonte, in der Massenkommunikation würden andere Regeln gelten als im Gespräch, so dass man hier mit dem Konstrukt „Gespräch“ nicht weiterkäme. Diese Leser behaupten, wenn auch indirekt und ungenannt, dass eine andere, alternative Funktionsweise von „Kommunikation“ existiert, verstanden als ein neuer, im Laufe der Medienentwicklung „nachgewachsener“ intellektueller Prozess.

Reden Sie nicht von Fakten, das sind Tatsachen 😉

Nun lebt ein kritischer Dialog sicher davon, gegenseitige Vorschläge und Anmerkungen ernst zu nehmen. Dennoch: Eingeschliffene Arbeitsprozesse in Werbeagenturen, Marktforschungsunternehmen, Medien oder auf Marketing-Kongressen sind keine Argumente für oder gegen die Richtigkeit der These von der Unhintergehbarkeit der anthropologischen Konstante „Gespräch“, wenn es um Verständigung und Beeinflussung von Vorstellungen geht. All die, die den Gesprächsansatz mit dem Hinweis auf die „Realitäten“ in Unternehmen ablehnen, erinnern an den Betrunkenen, der unter einer Laterne nach seinem Schlüssel sucht. Befragt, ob er den Schlüssel hier verloren habe, antwortet er: Nein, da hinten in der Seitenstraße, aber da sei es zu dunkel zum Suchen.
Natürlich ist die Forderung berechtigt, darzulegen, wie ein dialog- oder hörerzentriertes Kommunikationsmodell in praktisches, unternehmerisches Handeln münden kann sowie in unternehmerische Kategorien wie Umsatz, Marktanteil oder Ertrag. Wenn das nicht gelingt, müsste man die gegenwärtige Praxis der Mediaplanung oder Kampagnenentscheidungen akzeptieren. Sie wäre genauso wie Bilanzierungsregeln oder SAP-Prozesse nichts anderes als gelebte, verselbstständigte Unternehmenspraxis, die sich ihre eigene Realität schafft. Sie hat dann zwar nichts mehr mit der Wirklichkeit menschlicher Beeinflussungs- und Wahrnehmungsprozesse zu tun, aber das wäre dann auch nicht mehr ihr Anspruch. Aus der Verständigungsperspektive heraus betrachtet, produzierten die Unternehmen auf diesem Weg letztlich nur Lärm. Spam-Mails z.B. sind ein aktueller und massiver Beleg dieser Lärm-These.

Kommunikationsermöglicher bringen die Unternehmenskommunikation dem Gespräch näher

Aber es gibt sie ja: die Methoden, das Gespräch – nicht (nur) im wörtlichen Sinne, sondern als menschliche Conditio sine qua non – in die an viele gerichtete Unternehmenskommunikation zu integrieren. Hier ist natürlich noch viel Nachholbedarf oder Potential seitens der Forschung vorhanden, aber die Irrtümer, Widerstände und Bequemlichkeiten bei den Akteuren in Agenturen, Werbeabteilungen und Universitäten helfen da nicht unbedingt, diese zu beseitigen.
Die „Kommunikationsermöglicher“ lassen sich nach meiner Auffassung im Großen und Ganzen in vier Bereiche gliedern:

  • Technik
  • Semiotik
  • Kultur
  • Dialog

Unter Technik fasse ich all die Methoden zusammen, die versuchen, durch Algorithmen, Rechenleistungen und automatisierte Verfahren Teile des menschlichen Austauschs nachzubauen, zu modellieren, zu simulieren oder zu antizipieren. Hierunter fallen sowohl CRM-Techniken, als auch viele Verfahren der Datenanalyse und -interpretation, oder den Aufbau automatisierter Online-Verhaltensmuster.

Achtung: Interpretation ist nicht gleich Kommunikation!

Unter Semiotik fasse ich die Bemühungen zusammen, den Menschen nicht im direkten Gespräch, sondern auf einer übergeordneten Ebene Interpretationen anzubieten, verbunden mit der Bereitschaft der Unternehmen, sich den Interpretationen der Menschen auch auszuliefern. Gemeinhin würde man dazu einfach Marken-Technik oder Branding sagen. Jedoch funktioniert eine Marke nur dann, wenn ich akzeptiere, dass ich mich als Unternehmen der gelebten und von mir zum Teil unabhängigen Bedeutung der Marke ausliefere. Markenwerbung ist so gesehen keine Kommunikation, sondern werbliche Interpretationsvorlage. So muss man die Schlagworte wie „Content is King“ oder „die Idee zählt“ ändern in „die Interpretation herrscht!“ Vergeblich sind Versuche, vorgegebene Inhalte in Konsumentenköpfe hämmern zu wollen. Was sogar die Vertreter des Neuromarketing, das seit einiger Zeit wieder en vogue ist, zähneknirschend zugeben.
Unter Kultur fasse ich alle Verfahren zusammen, die versuchen, von den Menschen, mit denen man in Kontakt treten möchte, Meinungen, Äußerungen und Einstellungen zu erfahren. Darunter fallen sowohl Trend- oder Szenescouts als auch ein breites Spektrum an qualitativer Markt- und Feldforschung. Der letzte Bereich, Dialog, enthält alle Verfahren, bei denen tatsächlich eine Form von Gespräch stattfindet. Diesen Bereich möchte ich hier noch etwas näher beleuchten, die drei anderen muss ich bis zur nächsten Gelegenheit zurückstellen.

Pseudokommunikation: alles regelgerecht und doch wirkungslos

Mit den Dialog-Verfahren komme ich auch zu dem oft gehörten „das-geht-doch-gar-nicht“-Argument zurück. In unterschiedlichen Ausprägungen gesteht dieses der These vom Gespräch als Verständigungswurzel ihre Richtigkeit zu, aber im selben Atemzug wird die Forderung, dies auch im Unternehmensalltag umzusetzen, als naiv oder nicht praktikabel abgelehnt. Man begibt sich so bewusst in eine Parallelwelt der Pseudokommunikation. Dabei übersieht man gerne, dass die Gesprächsorientierung zwar eine echte Herausforderung an die Unternehmenskommunikation ist, aber dennoch eine lösbare Aufgabe darstellt, da es bereits verschiedene Elemente einer anthropologisch basierten – oder soll ich sagen echten – Unternehmenskommunikation gibt.

Die Botschaft von oben, aber die Kommunikationstechnik von unten

In der abendländischen Geschichte finden wir eine weltweit tätige Organisation, die die dialogorientierte Kommunikation täglich lebt: Die katholische Kirche. Sie wird gerne als erstes und bis heute erfolgreichstes Marken-Unternehmen bezeichnet. Das Kreuz ist gleichzeitig das erste und bis heute bekannteste Markenzeichen der Welt. Für den Erfolg und für das lange Überleben der ‚Christus AG’ scheint mir jedoch ein anderer Aspekt fast wichtiger. Jedes ‚Outlet’ der katholischen Kirche ist mit einem permanenten Feedback-Kanal ausgestattet: dem Beichtstuhl. Der Beichtstuhl ist Ausdruck einer hörerzentrierten Unternehmenskultur. Und erst die Beichte mit ihrer Kombination aus „meine Kunden haben das Bewusstsein, Gott hört ihnen zu“ und aus „das Unternehmen hat ein sehr wachsames Ohr am Kunden“ ermöglichte die erfolgreiche Unternehmenssteuerung. Gesprächs- oder hörerorientierte Unternehmenskommunikation bedeutet ja keineswegs, zwanghaft den gehörten Wünschen Folge leisten zu müssen. Daraus lernen wir: Verlautbarungskommunikation ist oft ein Zeichen von Schwäche, während das offene Ohr ein Zeichen von Stärke ist.

Verfahren des offenen Ohrs

Welche Dialogverfahren stehen offenen Unternehmen denn heute zur Verfügung?

  • An erster Stelle möchte ich hier Berater nennen! Gute Berater mit dem sprichwörtlichen Blick von außen (aus dem wir jetzt ein Gehör von außen machen) fungieren oft als Sprecher sonst ungehörter Gruppen: Mitarbeiter, Vertriebspartner, Kunden oder Anwender. Der Schwierigkeiten, einen kompetenten und für die Aufgabe legitimierten Berater zu finden, bin ich mir sehr wohl bewusst. Manch ein Berater missbraucht seine Position, indem er nicht die Sprecherfunktion ausübt, sondern im Eigeninteresse argumentiert oder dem Unternehmen nur sagt, was dieses zu hören wünscht. Dennoch: Im Berater verdichtet sich die Meinung der sonst unerreichbaren Masse.
  • An zweiter Stelle stehen Reklamationen! Ihre Kunden wollen mit ihnen reden, nur verweigern sich die meisten Unternehmen diesem Wunsch. Spätestens bei Produktmängeln bricht sich der Wunsch aber dann Bahn. Öffnen Sie diese Kanäle und nehmen Sie sie wahr! Experten des Beschwerdemanagements berichten über die vordergründig überraschende Tatsache, dass Kunden mit einer Reklamation bei guter Behandlung zu den treusten Kunden überhaupt mutieren. Im Sinne der dialogorientierten Unternehmenskommunikation – siehe Beichtstuhl – ist das selbstverständlich. Der Kunde fühlt sich bei entsprechendem Beschwerdemanagement in seinem Konsumentendasein (erstmals) wahrgenommen, verstanden und dankt dies mit dem Ausbau der Beziehung.
  • Eine dritte ganz wichtige natürliche Gesprächschance sind die Unternehmensmitglieder, die im echten Dialog mit Interessenten, Kunden und Nutzern stehen – ob sie nun direkt auf der Gehaltsliste stehen oder ‚nur’ Ihre Produkte vertreiben. Ein Unternehmen muss auch deren Stimmen wahr- und ernst nehmen. Es sind die Ohren des Unternehmens.
  • Die vierte Möglichkeit sind Gesprächsanlässe wie Veranstaltungen. Events werden aber leider viel zu oft als Selbstinszenierungen verstanden und Gesprächschancen verschenkt.
  • Eine letzte große Möglichkeit, das Ohr am Kunden zu haben, bietet die Gruppe all derer, die sich gefragt oder ungefragt zum Unternehmen und seinen Leistungen äußern: Journalisten, Künstler, Politiker, Aktionäre, Dienstleister und viele mehr. Auch hier gilt natürlich: Horchen, heißt nicht gehorchen! Aber zuhören ist seliger als zutexten.

In dynamischen, offenen Systemen wird der Dialog zur Überlebensfrage

Wenn man den Weg in Richtung echter Unternehmenskommunikation beschreiten will, gehören die genannten Möglichkeiten institutionalisiert. Reporting-Systeme müssen aufgebaut oder bestehende auf die Dialoghaftigkeit hin überprüft werden. Mitarbeiter-Rotation ist ein probates Mittel, wenn dabei auch Entscheider regelmäßig die ‚Stimme des Volkes’ hören. In der Diskussion um die erfolgreichen Unternehmen der Zukunft taucht daher völlig richtig das Schlagwort von der „Intelligenz an den Rändern“ auf. Die besten Köpfe verstecken sich dann nicht in den Zentralen fernab vom wirklichen Geschehen, sondern wirken an den Kommunikationspunkten. Nicht von ungefähr sind heute wieder die von Führungspersönlichkeiten eher straff geführten Unternehmen erfolgreich. Diese Unternehmer können schnell in wirklichen Dialog mit relevanten Gruppen treten und ihre Entscheidung darauf stützen. Allgemein sollten Handlungsweisen, die zum Teil nur als interne Führungstechniken diskutiert werden, auf ihre ‚Außendiensttauglichkeit’ hin abgeklopft werden . Die Grenzen zwischen innen und außen werden fließender, Zugehörigkeit freiwilliger.

Die neue Unternehmenskommunikation erfordert Mut!

Zugegeben, die Hinwendung zu dialogartiger Unternehmenskommunikation ist nicht risikolos. In Zeiten ständiger Budgetdiskussion gehört Mut dazu, das Mediabudget um 50.000 Euro zu kürzen, nicht um das Geld einzusparen, sondern um es in institutionalisierte Kundengespräche zu investieren. Die Verantwortung und das Jobverlustrisiko eines Mitarbeiters ist ungleich höher, wenn er eine neue Kommunikationsstrategie (Inhalte, Wege und Maßnahmen) mit einem Entwicklungspartner, plus qualitativen Marktforschungsverfahren, plus Berater erarbeitet, als wenn er vier Agenturen im Kreativpitch gegeneinander antreten und ein möglichst breites Gremium die Entscheidung treffen lässt.

Kleines Licht, große Wirkung

Aber Sie ahnen bereits, wo ein Unternehmen mehr Kommunikationsleistung für weniger Geld und damit auch mehr Verhaltensänderung fürs Unternehmen erhält. Noch stehen hier die operative Praxis in den Unternehmen und die Unternehmensziele im Widerspruch, aber der Markt wird das richten. Es wird immer wichtiger, etwas zu sagen zu haben. Lautstärke und Farbigkeit ersetzen nun mal keine Bedeutung. Und Intelligenz entsteht nur durch Zuhören und Handeln. Das kann man schon bei Kleinkindern beobachten. Deren Brabbeln dient nämlich nicht der Mitteilung, sondern nur der Selbstvergewisserung. Man kann diese Dialog-Verfahren natürlich mit Technik-, Semiotik- oder Kultur-Verfahren verbinden und damit Unternehmen noch mehr an das Gesprächsideal heranbringen. Ein ganz aktuelles Beispiel als Kombination aus ‚Dialog’, ‚Technik’ und ‚Kultur’ sind die Blogs. Hier sieht man aber, dass das entsprechend aufwändig, komplex und noch schwerer zu managen ist. In aller Regel lassen sich Bedenken gegen die kleine Lösung ‚Dialog’ nicht durch eine riesengroße Lösung ‚Dialog’ plus ‚Technik’ beheben. Oder um zur Anekdote des betrunkenen Schlüsselsuchers zurück zu kommen: Ich würde erst einmal zur Taschenlampe raten, statt zu einer zweiten Straßenlaterne. Und was die konkreten Anwendungen der drei anderen Kommunikationsermöglicher Kultur, Technik und Semiotik angeht, muss ich Sie auf die nächste Gelegenheit vertrösten.

„Zuhören statt Reden“ ersetzt „Bild statt Wort“

Eine allerletzte Bemerkung zu Bildern. Im Zeitalter der Reizüberflutung wird uns oft eine Opposition Text versus Bild vorgegaukelt. Dass das Bild als der vermeintliche Königsweg trotz Dauerberieselung zur Zielgruppe durchdringt, ist Quatsch. Gerade die neuere Hirnforschung zeigt, dass es um Konzepte unterschiedlicher Abstraktion oder Konkretheit geht, die jeweils anders oder anderswo verarbeitet werden. Im Gespräch sind beide, Bilder und Worte, letztlich Verständnisangebote, gezeigte bzw. gesprochene. Und als Interpretationsvorlagen sind Bilder im Kommunikationsprozess wesentlich kontroll und steuerungsbedürftiger als Worte. Wir können aber weder mit dem Wort ‚Frieden’ noch mit Picassos ‚Friedenstaube’ einen Schalter im Kopf des anderen betätigen. Wenn er überhaupt die Waffe nieder legt, ist dies Ergebnis seiner Interpretation oder seines freien Willens. Die wahrhaft entscheidende Opposition ist nicht Bild statt Wort, sondern Zuhören statt Reden! In diesem Sinne bin ich ganz offen für Bemerkungen, Kommentare und Kritik.
Hier finden Sie den gesamten Artikel als PDF.

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